Es braucht viel mehr gemeinnützigen Wohnbau

Expert:innen und Politik bei AK-Fachtagung einig: Sozialer Wohnbau muss dringend Fahrt aufnehmen

Wie kann es gelingen, in Vorarlberg ausreichend leistbaren Wohnraum zu schaffen? Die AK lud 60 Expert:innen zu intensiven Workshops und konfrontierte Politiker:innen aller im Landtag vertretenen Parteien mit den Ergebnissen. Alle sind sich einig, dass es sehr viel mehr sozialen Wohnbau braucht. Selbst ein sanfter Zwang der Gemeinden, künftig sozialem Wohnbau Platz gewähren zu müssen, scheint konsensfähig.

Wie viel Baugrund steht zur Verfügung? Begünstigen Gemeinden sozialen Wohnbau oder doch lieber nicht? Ist sozialer Wohnbau unter Marktpreisen denkbar? Parteipolitisches Kleingeld spielte an diesem Nachmittag keine Rolle, zeigte sich Gastgeber AK-Präsident Bernhard Heinzle beeindruckt. „Es ging heute trotz Wahlkampf nur um Sachfragen.“
Wann ist eine Wohnung leistbar? Wenn der Preis passt und das Einkommen stimmt, klar. Und wenn die Wohnung einen Mindeststandard erfüllt. Darauf wird Gerald Kössl zufolge oft vergessen. Kössl ist Soziologe. Beim österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen forscht er zum Thema Leistbarkeit. Aus seiner Zeit in London hat er ein typisches Inserat mitgebracht: Um 170 Pfund die Woche wird da eine Art „Wohnklo“ angepriesen. Darin kann sich eine Person nicht einmal umdrehen. Leistbar ist die Unterkunft vielleicht, aber Standard erfüllt sie keinen.
Die Erforschung des österreichischen Marktes ergibt ein sattsam bekanntes Bild: Haushalte mit geringeren Einkommen leben viel häufiger in Wohnungen oder Häusern, die feucht und dunkel sind. 14 Prozent der wenig Vermögenden müssen in der Unsicherheit befristeter Mietverhältnisse zurecht kommen, jeder fünfte Betroffene kann die Wohnkosten kaum stemmen. Weil der gemeinnützige Wohnbau dagegen das Haushaltsbudget nicht überlastet, haben dessen Mieter:innen auch mehr Geld zur Verfügung. Das wiederum fließt in den Wirtschaftskreislauf zurück.

Schlusslicht Vorarlberg
In Österreich hatten die 182 gemeinnützigen Vereinigungen 2022 insgesamt 698.135 Mietwohnungen und 299.450 Eigentumswohnungen im Bestand. Vorarlberg hält im Bundesländervergleich nur einen geringen Anteil gemeinnütziger Wohnungen. Bei den Fertigstellungen lagen Vorarlbergs  gemeinnützige mit durchschnittlich zwei Wohnungen pro 1000 Haushalte weit unterm Österreichschnitt von 3,8. Vorarlbergs gemeinnütziger Wohnbau ist noch immer deutlich weniger sozial durchmischt als in allen anderen Bundesländern.
All das kommt aufs Tapet und stößt bei den Politiker:innen aller im Landtag vertretenen Parteien keineswegs auf taube Ohren: Harald Wittwer (ÖVP) ist Landtagsabgeordneter und Wohnbausprecher und Thüringer Bürgermeister, Nina Tomaselli sitzt für die Grünen im Nationalrat, der FPÖ-Landtagsabgeordnete Hubert Kinz ist auch Sozialsprecher, Martin Staudinger Wohnbausprecher der SPÖ, Landtagsabgeordneter und Harder Bürgermeister Neos-Landtagsabgeordnete Fabienne Lackner fungiert als Wohnbausprecherin. Sie alle diskutieren anderthalb Stunden lang das Problemfeld Wohnen mit großem gegenseitigem Respekt.

Einen Anteil erzwingen
Sie beklagen „die hohen Nebengebühren im Grunderwerb von fast zehn Prozent“ (Kinz) und die anhaltende Spekulation mit Grund und Boden (Tomaselli). Sozialer Wohnbau als Widmungskategorie ausweisen? Dazu könnte man die Gemeinden in der nächsten Gesetzesnovelle durchaus zwingen (Tomaselli). Bei Neuwidmungen ließen sich z. B. 50 Prozent dem sozialen Wohnbau vorbehalten, da liefert Südtirol Denkansätze. Martin Staudinger kann sich gut vorstellen, hohe Baunutzungszahlen nur dann zu vergeben, wenn leistbarer gemeinnütziger Wohnbau entsteht.
Es ist schon einiges passiert: Es gibt endlich einen Bodenfonds, der schon 2016 durch die Köpfe geisterte (Lackner): „Man wird sehen, was daraus wird.“ Alle Gemeinden arbeiten derzeit ein räumliches Entwicklungskonzept aus und müssen dabei sehr präzise ausweisen, wo z. B. Mischwidmungen möglich sind (Wittwer). Der Thüringer Gemeindechef legt kleinen Gemeinden dringend nahe zusammenzuarbeiten, um Ressourcen auszugleichen.
Alle sind sich einig, dass es in Vorarlberg viel mehr gemeinnützigen Wohnbau braucht. Bei den Steuern hingegen scheiden sich die Geister: Die Grüne Tomaselli redet von einer Anhebung von Bodenwertabgabe und Grunderwerbsteuer, die FPÖ ist strikt dagegen. Allen ist bewusst, dass der gemeinnützige Wohnbau viel besser ist als sein Ruf. Hubert Kinz wirft gar die Idee einer Charmeoffensive in die Runde, um hier einiges klarzustellen. Und auch gelobt wurde an diesem Tag: So sind Sozialarbeiter:innen sehr froh über die einheitlichen Vergaberichtlinien im gemeinnützigen Wohnbau, betont Heidi Lorenzi (IfS). „Das erleichtert die Vergabe und es gibt kein Gemauschel mehr.“
Die gesamte Podiumsdiskussion können Sie auf dem Youtube-Kanal der AK Vorarlberg nachsehen.

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